Ungeduld

 

Vorbild all jener, die ungeduldig und unwirsch und höchst unhöflich nach einem Taxi rufen, ist die Katze. Sie sitzt irgendwo auf einem Zaun, auf einem Baum, auf einer Wiese.

Vielleicht regnet es, vielleicht schläft zwischen ihr und dem Haus der Hund.

Vielleicht ist ihr der Weg zu weit.

Sie brüllt.

Taxi, Taaaxiii!

Brüll du nur.

Sie lässt mich nicht aus den Augen.

Hau ab, sage ich.

Sie brüllt und lässt mich nicht aus den Augen.

Nichtsnutziger Fellsack, sage ich laut.

Taaxiii! brüllt sie lauter.

Ich wende mich ab.

Taaaxxiiii!

Dann kehre ich um und gehe am schlafenden Hund vorbei und durch den Regen, den weiten Weg zum Baum, zum Zaun, zur Wiese und trage die Katze ins Haus.

 

 

 

 

Die guten Engel

Und wie ich es bedachte, war mein Leben voller Kummer gewesen und auch voller Freude, ich verspürte kein Bedauern, keine Reue, spürte die feste Straße unter meinen Füßen und sah das Haus, in dem mein Café erleuchtet war.
Die guten Engel hatten das Haus hier abgesetzt, daß es mich erwarten sollte, begriff ich, so wie sie es schon einmal getan hatten, als ich meinen Entschluß gefaßt hatte, das überraschende Erbe meiner Großmutter für mein Café auszugeben. Ein Ort, an dem sich in der Welt sein läßt und der von der Welt etwas beherbergen kann in Geborgenheit, das ist ein Café, einer, zu dem die Flüchtigkeit dazugehört, und an dem die körperlichen Bedürfnisse dazu dienen, die Seele zu wecken.


Zum Buch

Am Schluß

Kaum ist das Buch aus dem Haus, kaufe ich zwei Schafe, der Garten ist groß genug, es sind Zwergschafe.
Im Buch ist auch noch Platz.
Falls Sie noch ein Tier hinzufügen möchten.

 

 

Alles, was passieren wird

Vor zehn Jahren schaute ich aus den Zugfenstern sehnsüchtig jedem Feldweg nach.

 

 

 

 

 

Vor neun Jahren wurde unsere ältere Tochter eingeschult. Nur noch am Wochenende und in den Schulferien konnte man daran denken, aus der Stadt zu fahren. Ich nahm des restliche Geld, daß ich von den „Habenichtsen“ und vom Buchpreis auf den Konto hatte.

Suchte ein Haus und fand einen Hof.

Wäre ich nicht so ahnungslos gewesen, hätte ich es nie gewagt. Ein Architekt riet ab. Ein Freund warnte. Vier Dächer, zwei davon mit Asbest gedeckt.

Das Haus war vom ersten Augenblick an freundlich. Einen Garten gab es nicht.

Neben dem Haus war ein kleines verwahrlostes Stück, das ganz ummauert war: mein erträumter Klostergarten.

Gleich nach dem Haus kam, weil ich auch noch ein Angsthase bin, ein Hund. Es mußte ein großer Hund sein. Es sollte, weil so einer durch meine Kindheit spaziert war, ein Airedale Terrier sein.

Wir dachten, wir ziehen ein bißchen aufs Land, aber wir sind in ein Dorf gezogen.

In den ersten Tagen, es war zwischen den Jahren, guckte die Bestizerin des vormaligen Konsums meine Hände an und sagte: Sie haben ja gar keine Handschuhe. Und lieh mir welche.

Daß man Glück hat, heißt vielleicht, daß unter den Dingen, die das eigene Leben prägen, solche sind, für die man unendlich dankbar ist. Und immer wieder aufs Neue.

Bald wird es ein neues Dach geben, in der Scheune können wir Filme zeigen, im Garten stehen Bänke, damit man lesen und schreiben kann.

Inzwischen gibt es zu dem Hund noch einen Hund und zwei Katzen und drei Kaninchen und sechs Meerschweinchen.

Als ich den Roman „Skip“ beendet hatte und spürte, wie die Erschöpfung schon wieder in Angstzustände und Depressionen umschlagen wollte, kaufte ich mir ein Pferd: Das Löwchen.

Der Irish Terrier ist nun drei Jahre alt, die Airedale-Hündin bekommt einen weißen Kopf. Sie graben tiefe Löcher in den Garten.

Letztes Jahr gab es zu viele Pfirsiche, der eine alte Apfelbaum ist abgeknickt, er blüht aber hartnäckig und trägt Früchte.

Bald können wir hoffentlich wieder in der Scheune Filme zeigen.

Meine größte Angst ist, daß den Kindern etwas zustößt. Die zweitgrößte, daß ich sterbe, bevor sie erwachsen sind. Am liebsten würde ich leben, bis sie selber Kinder haben, weil ich mir vorstelle, daß sie dann so glücklich sind wie ich es bin.

Über die erste Angst könnte ich keinen Satz schreiben.

Die zweite Angst im Nachken habe ich ein Buch geschrieben, das erzählt, wie ein Mädchen wieder Mut fasst, obwohl die Mutter gestorben ist und alles dunkel ist.

Es ist gegen die Angst geschrieben, vor allem aber aus Liebe und aus Dankbarkeit für ein Leben mit einem Garten und mit Tieren, die so mit ihrem Lebendigsein beschäftigt sind, daß man in ihrer Gegenwart kaum am Leben zweifeln kann.

Sie sind zuversichtlich, was Menschen angeht. Sie müssen nicht an die Zukunft glauben, um glücklich zu sein.

Manchmal bedauere ich, daß es ungehörig wäre, über die Menschen zu schreiben, die ich kenne in unserem Dorf. Aber eine Geschichte erfinden ist auch eine Weise, Dank zu sagen.

 

 

https://www.fischerverlage.de/buch/katharina-hacker-alles-was-passieren-wird-9783737358200

https://www.fischerverlage.de/veranstaltung/premiere-katharina-hacker-social-media-event-210428

 

 

Wer?

Plötzlich ist die Hälfte der Leute, die ich sehe, durchsichtig.

Warum sind sie durchsichtig?

Warum ist das Fenster nach draußen halb bedeckt von Marienkäfern?

Alles, sagt jemand, verdient einen Namen, und ich bin nicht sicher, ob ich zustimmen möchte.

 

 

November

 

Mein Garten verblasst Minute für Minute.

Bald kann ich ihn kaum noch sehen.

 

 

 

 

 

 

 

Wofür wir stehen

 

Wie jede zugespitzte Situation macht die gegenwärtige kenntlich, wofür wir stehen, wo wir wanken oder schwanken, sie zeigt, ziemlich unmittelbar, unsere Werte, unsere Inneres, unsere Eingeweide, wenn man so will.

Eine Trennlinie wird erschütternd klar.

Trägt jemand eine Maske, um sich zu schützen? Oder um andere zu schützen?

Jeder, die im Netz liest, ist klar, die üblichen Atemmasken taugen weniger gut, sich selbst zu schützen. Aber sie sind gut und klug, falls man selber unwissentlich infiziert, andere davor zu bewahren. Dafür aber haben sich die Menschen vermutlich nicht um die Masken gerissen.

Will man sich von den anderen fernhalten, weil sie einen anstecken könnten? Oder fürchtet man womöglich doch selber infiziert zu sein und sorgt sich, über jemanden Angst und Sorge und Krankheit und schlimmstenfalls den Tod zu bringen?

Denn darum geht es, um Sorge, um Angst, um Krankheit, um den Tod.

Die letzten Jahre habe ich oft gedacht, daß die Welt zugrunde geht an Gier und Geltungssucht. Für unsere menschliche Welt braucht es noch nicht einmal diese beiden, es ist wirklich noch simpler: an Selbstsucht kann sie zugrunde gehen.

Zeichen dafür ist die Anzahl der Menschen, die nicht begreifen wollen, daß die Politik alles tut, um gewisse Zustände zu vermeiden, um Bilder zu vermeiden, Bilder von Menschen, die allein und elend ersticken, von Menschen, die kein Abschiedswort sagen können oder dürfen, die ihre Liebsten nicht am Bett versammeln können, die in ärgster Angst sterben müssen.

Das eine ist es, gegen etwas zu kämpfen, das andere dafür, daß ewas nicht geschieht. Es ist schwieriger, krasse Maßnahmen zu erklären, wenn sie richtig waren und folglich nicht eintritt, was man vermeiden wollte.

Die Logik kann aber doch jeder begreifen. Unsere Gesellschaft will eine Gesellschaft bleiben, die nicht kaltschnäuzig das Leid von Kranken, von älteren Menschen, von schon gefährdeten und gebeutelten Menschen hinnimmt. Wer wollte denn in einer Gesellschaft leben, die das tut?

Wir, Bürger eines Gemeinwesens, stehen für etwas. Wir, nämlich all die Menschen, denen nicht einleuchtet, über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg, daß man das eigene Wohl und das der eigenen kleinen Gruppe über das Wohl anderer Menschen stellen darf. Wir: alle Menschen, die meinen, sonst könne es kein gemeinsames lebenswertes Leben geben.

Nur eine Grippe, sagen viele, und vermutlich haben sie niemanden in ihrer Umgebung an eine Grippe verloren, an die folgende Lungen- oder Herzmuskelentzüngung, verloren trotz optimaler medizinischer Versorgung, die in einer Situation mit vielen Kranken, einer Situation der Bedrängnis oder gar Panik niemals so gewährleistet sein könnte.

Nur eine Grippe, was für ein Aufstand deswegen, was für ein Schaden, sagen viele.

Unbedacht, kann man das nennen, kurzsichtig, dumm. Und manchmal möchte man rufen: Das ist niederträchtig, einfach niederträchtig.

Katze

Kaum öffne ich die Tür zum Hof, kommt die Katze ins Haus und weicht mir nicht mehr von der Seite. Da sie kleiner ist als die zwei Hunde, passt sie drunter durch und hält so daran fest, in meiner Nähe zu bleiben, auch wenn ein Hund neben mir geht. Setze ich mich an den Schreibtisch, springt sie auf meinen Schoß, ich kann nicht arbeiten, wenn sie es sich da gemütlich macht. So packe ich sie, verstaue sie hinter meiner Rücken, rutsche fast an die Stuhlkante, damit sie Platz hat. Oft bleibt sie.

Ziehe ich mit meinem Laptop aufs Sofa um, bleibt sie auch, verzichtet auf Nähe, da sie meinen Platz einnehmen kann.

Über Land

wieder über land unter den überland-

leitungen dort hinter dem zweiten feld

der zweiten baumreihe,

wo die habichte und mäusebussarde

zuweilen über den kranichen und krähen

vom anderen vogelgetier zu schweigen

kreisen: auf der jagd.

wie ich mich langsam nähere den noch schwer kenntlichen

braunen flecken hinter der baumreihe im gras dort

gelagert nämlich die herde

– die ganze herde, möchte ich sagen, als wäre das

denkbar –,

in ruhe nach vielleicht unruhiger

nacht, sie

erheben sich, zögernd,

da ich, langsam reitend,

die baumreihe quere,

das unruhige pferd zügelnd, daß es sehe,

was da im im gras, das nicht besonders hoch,

aufmerksam geworden jetzt, äugend zu uns,

dann, da ich angaloppiere,

ungeduldig geworden,

aufspringt,

nicht leicht davonstiebt wie rehe:

mit dem getöse wilder schafe.

Der Himmel wölbt sich

Wo keine Gastgeber sind, sind auch keine Gäste, sagte ich mir, aber was, wenn die Gastgeberin keinen Gast hat?

Alles ist Paradox oder alles bedingt sich, der Himmel wölbt sich ja noch über uns, Tauben befliegen den schönen Himmel, und Staub kann noch tanzen, es ist nicht aller Tage Abend, und vielleicht liegt das Glück gleich an der Türschwelle, entweder auf der einen, oder auf der anderen Seite.


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