Vor zehn Jahren schaute ich aus den Zugfenstern sehnsüchtig jedem Feldweg nach.
Vor neun Jahren wurde unsere ältere Tochter eingeschult. Nur noch am Wochenende und in den Schulferien konnte man daran denken, aus der Stadt zu fahren. Ich nahm des restliche Geld, daß ich von den „Habenichtsen“ und vom Buchpreis auf den Konto hatte.
Suchte ein Haus und fand einen Hof.
Wäre ich nicht so ahnungslos gewesen, hätte ich es nie gewagt. Ein Architekt riet ab. Ein Freund warnte. Vier Dächer, zwei davon mit Asbest gedeckt.
Das Haus war vom ersten Augenblick an freundlich. Einen Garten gab es nicht.
Neben dem Haus war ein kleines verwahrlostes Stück, das ganz ummauert war: mein erträumter Klostergarten.
Gleich nach dem Haus kam, weil ich auch noch ein Angsthase bin, ein Hund. Es mußte ein großer Hund sein. Es sollte, weil so einer durch meine Kindheit spaziert war, ein Airedale Terrier sein.
Wir dachten, wir ziehen ein bißchen aufs Land, aber wir sind in ein Dorf gezogen.
In den ersten Tagen, es war zwischen den Jahren, guckte die Bestizerin des vormaligen Konsums meine Hände an und sagte: Sie haben ja gar keine Handschuhe. Und lieh mir welche.
Daß man Glück hat, heißt vielleicht, daß unter den Dingen, die das eigene Leben prägen, solche sind, für die man unendlich dankbar ist. Und immer wieder aufs Neue.
Bald wird es ein neues Dach geben, in der Scheune können wir Filme zeigen, im Garten stehen Bänke, damit man lesen und schreiben kann.
Inzwischen gibt es zu dem Hund noch einen Hund und zwei Katzen und drei Kaninchen und sechs Meerschweinchen.
Als ich den Roman „Skip“ beendet hatte und spürte, wie die Erschöpfung schon wieder in Angstzustände und Depressionen umschlagen wollte, kaufte ich mir ein Pferd: Das Löwchen.
Der Irish Terrier ist nun drei Jahre alt, die Airedale-Hündin bekommt einen weißen Kopf. Sie graben tiefe Löcher in den Garten.
Letztes Jahr gab es zu viele Pfirsiche, der eine alte Apfelbaum ist abgeknickt, er blüht aber hartnäckig und trägt Früchte.
Bald können wir hoffentlich wieder in der Scheune Filme zeigen.
Meine größte Angst ist, daß den Kindern etwas zustößt. Die zweitgrößte, daß ich sterbe, bevor sie erwachsen sind. Am liebsten würde ich leben, bis sie selber Kinder haben, weil ich mir vorstelle, daß sie dann so glücklich sind wie ich es bin.
Über die erste Angst könnte ich keinen Satz schreiben.
Die zweite Angst im Nachken habe ich ein Buch geschrieben, das erzählt, wie ein Mädchen wieder Mut fasst, obwohl die Mutter gestorben ist und alles dunkel ist.
Es ist gegen die Angst geschrieben, vor allem aber aus Liebe und aus Dankbarkeit für ein Leben mit einem Garten und mit Tieren, die so mit ihrem Lebendigsein beschäftigt sind, daß man in ihrer Gegenwart kaum am Leben zweifeln kann.
Sie sind zuversichtlich, was Menschen angeht. Sie müssen nicht an die Zukunft glauben, um glücklich zu sein.
Manchmal bedauere ich, daß es ungehörig wäre, über die Menschen zu schreiben, die ich kenne in unserem Dorf. Aber eine Geschichte erfinden ist auch eine Weise, Dank zu sagen.
https://www.fischerverlage.de/buch/katharina-hacker-alles-was-passieren-wird-9783737358200
https://www.fischerverlage.de/veranstaltung/premiere-katharina-hacker-social-media-event-210428