Versuch über die Natur

Ob die Umweltzerstörung das Naturwidrige, oder ob die zerstörte Umwelt wieder Teil einer Natur, ob die Angst vor Klimakatastrophen unser Überleben betrifft oder die Trauer über die unwiderrufliche Zerstörung der Schönheit, die außer unserer Reichweite liegen sollte, ob wir, die wir in industrialisierten Ländern leben, überhaupt noch Natur kennen, weil Natur das strikteste Gegenüber aller unserer Hervorbringungen und Manipulationen sei, ob wir Teil der Natur sind und ob es eine artifizielle Natur gebe, als Vermischung, oder eine zweite Natur, und was geschieht, wenn die zweite, die nacherschaffene, die menschengeschaffene Natur allgegenwärtig ist wie früher nur der allmächtige Gott –.

Was

ist

Natur?

 

Zwei Katzen

Liefe die Katze nicht weg, der Hund würde sie nicht jagen.

Eine Katze bleibt.

Eine Katze flieht.

Die Katze, die bleibt, springt auf den Schreibtisch. Sie sieht mich an.

Die andere ist weg.

Abends miaut sie aus einer Hecke, bis ich komme und sie sicher ins Haus trage.

 

Wenig Zeit

Alle haben wenig Zeit, oder anders, keiner hat mehr Zeit übrig. Das ist erstaunlich, weil es niemandem gefällt, trotzdem ändern wir es nicht, vielleicht aus Angst, dann zuviel Zeit zu haben.

Denn – für was wollte man sie genau, die Zeit?

In der Novelle Erinnerungen schreibt Maupassant:

Euch bleibt nicht einmal mehr die Zeit, traurig zu sein, an die dunklen Dinge zu denken.

Garten und Natur

Gärten und Parks zeigen das unterschiedliche Verhältnis zur Natur, es gibt solche, die ein Gespräch mit der Natur sind, und solche, die ein Selbstgespräch des Gärtners mit sich selbst sind, solche auch, oft kleine und private Gärten, die mißtrauischen Umgang mit der Natur bezeugen.

Für Peter

Als ich ihn die ersten Male sah, hatte ich Angst vor ihm, ein groß gewachsener Mann, ungepflegt, sichtbar ein Trinker. Er hatte ein kleines Auto, das wir manchmal im Wald sahen, eines Tages auch ihn, da er unvermutet aus dem Gebüsch trat. Um den Schrecken zu überspielen, fragte ich, was er in der Tasche trage: Pilze, antwortete er, Pfifferlinge. Und dann sagte er: Ich zeige dir die Stelle!

Kein Pilzsammler zeigt anderen die guten Stellen.

Anderntags kam er in den Hof, mit einem Korb voller Maronen und Krauser Glucke. Krause Glucke hatte ich nie gesehen und nie gegessen, Peter erklärte mir, wo sie wachsen und wie man sie putzt. Gelegentlich brachte er welche, ich habe noch einen Tüte eingefroren.

Weil er einen Minijob in der Schule neben uns hatte, sah ich ihn öfter, und der Hausmeister , auch Peter mit Namen, ein Freund, riet mir, als ich mit dem hohen Gras kämpfte: Frag Peter. Pjiotr nannte ich ihn dann, um ihn vom anderen Peter zu unterscheiden; ich blieb lange beim Sie. Er duzte mich. Schwer einzuschätzen, wie alt er war, inzwischen weiß ich es, sechsundfünfzig Jahre alt ist er geworden, er war kaum älter als ich es bin. Er mähte mit der Motorsense, dann baute er mit meinem Mann für unsere Scheune einen Holzboden, damit wir dort Filme zeigen können. Wir wollten ihn anstellen, doch als alle Papiere unterschrieben waren, kam er nicht mehr. Wochenlang sahen wir ihn nicht, bis wir alles kündigten. Da tauchte er auf, hielt nicht alle Verabredungen ein, aber genug.

Manchmal brachte ich ihm von Aldi Cordon Bleu mit, Hähnchen, tiefgefroren. Er saß gerne noch bei uns, wir wußten irgendwann, daß er eine Tochter hatte, daß er Hochofenbauer war, er erzählte von den Schutzkleidern, die sie getragen hatten, von den Schuhen, von den Schichten. Eine Zeitlang hatte er bei der Berliner Müllabfuhr gearbeitet, aber er hatte ja getrunken. Ausgerechnet im Dorf und ausgerechnet als er Fahrrad fuhr, kontrollierte ihn die Polizei und nahm ihm den Führerschein ab. Macht nichts, sagte er. Daß er einen Magendurchbruch gehabt hatte und fast gestorben wäre, wußten wir. Im Hof saß er, der Hund lief immer gleich zu ihm hin, er hatte auch Hunde gehabt, er sagte zur Hündin: Da bist du ja, mein Freund.

Irgendwie fasste er Tritt, arbeitete mehr, trank weniger, rasierte sich, für uns hatte er oft keine Zeit, aber ich wußte, wenn wir wirklich Hilfe bräuchten, würde er helfen. Ich wich ihm manchmal aus, weil ich so gern allein bin und nicht immer gern rede. Er war klug. Manchmal braucht man eine ganze Zeit, um sich in jemandes Gesicht zurecht zu finden. Seine Augen hatten einen kindlichen Ausdruck, es war in dem verwitterte Gesicht überraschend. Er war sicher ein gut aussehender Mann gewesen.

Über die Jahre sammelt man die Geschichten eines Freundes, vom Ostern im Schnee, von den Tieren, die er gehabt hatte, von seiner Mutter, dem Magendurchbruch. Einmal brachte er uns Kaninchenpastete. Er wohnte allein in einem winzigen Haus am Richtung Dorfausgang.

Eines Tages erfuhr ich im Laden, daß er tot war. Nachdem er ein paar Tage nirgendwo aufgetaucht war, hatte die Nachbarin die Polizei gerufen. Ich weiß nicht, ob es der Magen war oder ein Herzinfarkt. Er bekam ein anonymes Grab. Das Fahrrad hätte ich gern gehabt, mit dem er immer in die Pilze gefahren ist, ich habe mich nicht getraut zu fragen. Sein Häuschen war schnell leer geräumt, es muß schlimm gewesen sein darin.

Gestern war ich im Wald, so viel habe ich noch nie gefunden in so kurzer Zeit. Krause Glucke, ganz jung und schön. Als wäre er dabei und zeigte mir, wo sie wachsen, dachte ich. Die letzte von ihm behalte ich eingefroren, jedenfalls noch eine Weile. Wir waren dann längst per Du.

Ich dachte, wenn ich in einem Film die Rolle eines russischen Heiligen besetzen müsste, würde ich ihn wählen. Natürlich war er kein Heiliger, und das Leben hat ihm übel mitgespielt oder er ihm, er hat sich zu Tode gesoffen und geraucht, so muß man es wohl sagen. Aber er hatte eine große Würde. Jetzt weiß ich nicht, wo er damals die Pfifferlinge her hatte. Und er weiß nicht, wie sehr wir ihn vermissen. Das ist es. Gegen den Tod kann man nichts machen, na gut, aber das man nicht sagen: du fehlst uns so. Das ist nicht Recht.

Jetzt ist Peter schon Monate tot. Aber man wollte ihm doch sagen: wir denken an dich.

Gießen

So viel wie dies Jahr habe ich in den Jahren zuvor nicht gießen müssen, die frisch gepflanzten Büsche und Bäumchen vor allem, um die es mir Leid gewesen wäre, und weil der Gartenschlauch nicht hinter die Scheune reicht, habe ich Wasser getragen, in zwei Gießkannen, die ich am Hahn aus einer alten Zinkwanne fülle.

Ich habe Rückenschmerzen und mehr Muskeln in den Armen als vorher. Aber wenn ich mir vorstelle, ich hätte so etwas wie eine Beregnungsanlage oder sonst eine Automatik, die für Wasser sorgt, weiß ich, daß ich gerne gieße. Nicht, weil man diszipliniert überlegt, wieviel Wasser jede Pflanze nötig hat. Sondern weil man doch mit jeder ein knappes Zwiegespräch führt. Da ein neues Blatt und dort ein welkes, und hier ein Insekt.

 

Skepsis

Skepsis heißt auch, sich immer noch einmal umzuschauen.

Meist sieht man leider, was einen aus der Spur bringt. Und das ist doch interessant, daß der genauere Blick einen so gut wie immer zweifeln läßt.

Man könnte argwöhnen, daß man dann ja nie zu was kommt, schon gar nicht zu einer Entscheidung. Das ist aber nicht wahr. Wahr ist, daß es Entscheidungen gibt, die den Spielraum vergrößern und solche, die einengen.

Für wen? fragt sich dann natürlich.

Für viele, ist die Antwort. Etwa für alle, die einem gerade einfallen, auch die, an die man lieber nicht denken würde.

Regeln sind manchmal, aber nicht immer kompliziert.

 

 

Ansprüche

Ebenso oft wie ich versuche, mir das Leben gut einzurichten, wundere ich mich darüber; über meine Ansprüche mehr als über allerlei Phantasien.
Die Phantasien sind bescheiden: man könnte einen großen Garten in einer hügeligen Landschaft haben, durch den ein kleiner Bach flösse. Sie müssen sich auch nicht verwirklichen.

Wünsche und Phantasien verbinden mich mit den anderen Menschen, meine Ansprüche trennen mich von ihnen: denn ich will zu den wenigen gehören, die schöne Orte, Gesundheit, Wohlstand und andere Arten von Glück okkupieren.

 

siehe Berenberg Verlag

Zu Literaturkritik

Professionelle Debatten haben, von außen betrachtet, leicht etwas Verwunderliches. Von was reden die Literaturkritiker, wenn sie öffentlich darüber schreiben, daß man sich der eigenen Kriterien vergewissern müsse oder neue finden, frage ich mich?
Ich bin keine Literaturwissenschaftlerin.
Als Schülerin und Studentin war ich abhängig von Kritiken und Buchändlerinnen, die wenigen Bücher, die ich kaufen konnte, mußten die richtigen Bücher sein, diejenigen, die ich gebraucht hatte, ohne es zu wissen.
Für mich hatten Literaturkritikerinnen die besseren Augen, was die Bücher und auch was mich anging. Sie spürten Sprachlichkeit und Gedanken auf, die ich allein nicht sehen konnte. Manchmal halfen sie, in Büchern, die allein gelesen opak blieben, das aufzuzeigen, was man gesucht hatte. Sie sahen dann vielleicht sogar einen Gedanken, der der Autorin entgangen war oder nicht aufgefallen, auch solche, die die Sprache eingeschmuggelt hatte.
Den Zustand der Literaturkritik kann ich nicht beurteilen, ich bin auch nur sporadische Zeitungsleserin.
Zu eigenen Büchern lese ich die Rezensionen manchmal neugierig und überrascht, manchmal mit verwunderter Langeweile, auf das, was mir wichtig war an Gedanken und Sprachlichkeit, kommen sie nicht immer zu sprechen.
Wenn ich selber eine Rezension schreibe, hoffe ich, die Gedanken, die für die Autorin maßgeblich waren, zu nennen und noch ein paar mehr zu finden, auch solche, die die Autorin überraschen und Leser interessieren. Ich versuche – bei einem literarischem Buch – die Verwendung der Sprache lebendig zu beschreiben und auf Dinge aufmerksam zu machen, die man im Eifer der Lektüre auch übersehen könnte. Schönheit, Witz und Eigentümlichkeit bemühe ich mich herauszuarbeiten, um das Vergnügen beim Lesen zu erhöhen: Vier Augen sehen immer mehr als zwei.
Dabei möchte ich mich nicht von dem ganz ablenken lassen, was mir vielleicht mißfällt, und keinesfalls von dem, was ich für mißlungen halte. Besser etwas ist mißlungen als nichts gewagt.
Da ich als Rezensentin ja schreibe und schreiben so schwierig ist, lese ich wahrscheinlich langsamer und sorgältiger als andere Leser und auch bescheidener. Ich bin mir der Mühe, die es gekostet hat, ein Buch zu schreiben, ja bewußt.
Manchmal ist es gut, hochfahrend zu sein, aber ich finde, es sollte immer mit einer gewissen Theatralik passieren, die das Zweifelhafte der eigenen Sache ausstellt und zu Widerspruch einlädt.
Gedankenreichtum gehört für mich zu den entscheidenden Kriterien beim Lesen, weil ich wenig Zeit zum Lesen habe und es mir oft an Gedanken fehlt. Oft bin ich erpicht auf die genaue Schilderung von Erfahrungen und Emotionenb, die mir hoffentlich erspart bleiben, aus denen ich lesend trotzdem Schlüsse ziehen kann.
Da ich im täglichen Leben auf festen Boden unter den Füßen bedacht sein muß, sogar um den Preis eingeschränkter Wahrnehmung, interessiert mich sehr, wie die Welt auch brüchig und bodenlos ist, und ich bin denen dankbar, die sie so schildern.
Zuweilen lese ich gern Kitsch, sei es, weil ich mich an den Gefühlen anderer wärmen möchte, sei es, weil mich das verrutschte Pathos wachrüttelt.
Da ich nicht von Beruf Literaturkritikerin bin, darf ich jederzeit weglegen, was ich prätentiös, erwartbar, langweilig finde.
Es kommt vor, daß sich ein Text vor mir verschließt, mir die Tentakeln fehlen, ihn zu begreifen, die besondere Wachheit, ihn zu empfinden. Es ist wichtig, das an sich selber festzustellen, denn der Text kann nichts dafür. Generell ist es ärgerlich, wenn Leute ihre eigene Beschränktheit nicht bemerken. Dann fallen einem auch nur schwer Kriterien ein und insgesamt nur wenig.
Wie man scharf und präzise Texte betrachten muß, so auch sich selbst. Bestimmt ist es eine große Kunst, sich ganz Ernst zu nehmen und gleichzeitig zu mißtrauen.
Für Literaturkritiker sollte es vielleicht eine Berufsfähigkeit sein.
Mein entscheidendes Kriterium beim Urteilen über ein Buch ist, ob es mich glücklich macht, das heißt wacher und aufnahmefähiger mir selber und der Welt gegenüber.

siehe Perlentaucher

Katze

Gewitzt kommt die Katze, nachdem sie mit leisem Knacken der Knöchelchen einen Vogel gefressen hat, auf den Tisch gesprungen, streicht um die Tastatur, läßt sich auf meinem Schoß nieder, ich stehe dann ungern auf, aus Rücksicht, die sie stets fehlen läßt, denn ihre Forderungen vertritt sie so selbstverständlich, daß sogar ich ihr gehorche. Für sie als einzige spiele ich Katzen-Taxi, und wenn sie vom einen Ende des Grundstücks miaut, weil die Hunde sie belästigen könnten, pflücke ich sie vom Baum und trage sie bis vor ihren Futternapf.

Bei dir piept’s wohl, würde ich den Kindern, den Hunden und meinem Mann sagen, und dem Pferd nicht einmal das.